Als 1943 der damals 17-jährige Ingvar Kamprad vom Bauernhof Elmtaryd aus dem kleinen Dorf Agunnaryd in Schweden sein erstes Geschäft eröffnete, konnte die Welt nicht erahnen, dass aus dem ehemaligen Haushaltswarenladen heute die größte Haushaltsmöbelmarke der Welt entstünde.
Der multinationale Einrichtungskonzern IKEA prosperiert heute in 26 Ländern mit mehr als 300 Filialen und beschäftigt mehr als 130.000 Menschen.
In Japan wurde 1974 die erste IKEA-Filiale eröffnet, allerdings waren die Verkaufszahlen so miserabel, dass 1986 alle Einrichtungshäuser wieder geschlossen wurden. Als Ursache dafür galt die fehlende Anpassung an den japanischen Markt. Die Möbel waren zu sperrig für die japanischen Wohnungen und deren Qualität, als auch die des Services, unter japanischen Standards. Im April 2006 wurde dann mit der Eröffnung eines Hauses in Funabashi nahe Tokio ein Neuanfang versucht und die vorher erwähnten Kritikpunkte korrigiert. Bereits am ersten Tag kamen 35.000 Kunden in das 40.000 Quadratmeter große Möbelhaus. Heute zählt IKEA Japan 8 Filialen.
Aus Eigennutz (Umzug) und Interesse habe ich mich also in die neueste Einkaufsfestung in Tokio gewagt um Gleichheiten und Unterschiede zur deutschen Version zu markieren, den japanischen IKEA-Einkäufer zu studieren und die hauseigene Systemgastronomie einer Qualitätskontrolle zu unterziehen. Hört sich nach viel Spaß an, oder?
IKEA-Filialen sind groß und demzufolge etwas außerhalb des Stadtzentrums angesiedelt. Nicht anders in Tachikawa, wo der schwedische Möbeltempel 15 Gehminuten vom Bahnhof entfernt liegt. Ein erster Unterschied ist festzustellen. Die IKEA-Jünger pilgern in Japan weitaus häufiger zu Fuß, was in Deutschland eher zur Ausnahme gehört. Ein erster Eindruck: Von außen, alles wie gewohnt.
Die Produktauswahl im Inneren ist im Großen und Ganzen die gleiche. Aber eben nur im Großen und Ganzen. IKEA hat gelernt. Die Ausstellungsräume sind an die realen Lebensverhältnisse der japanischen Großstädter angepasst worden. So hängt stets neben jedem Beispielzimmer eine Tafel, die die exakte Größe des Raums in Tatamimatten und Quadratmetern angibt. Ein Quadratmeter hin oder her macht den großen Unterschied. Wohnzimmer und Küche einer vierköpfigen Familie auf 10 qm? Was in Deutschland als Antiwerbung verstanden würde, entspricht hier der Wirklichkeit. Vollständig eingerichtete Einzimmerappartements mit 15qm finden sich auf der Ausstellungsfläche ebenso wieder wie Vorgärten mit 2 qm. IKEA bietet Lösungen für alle Umstände und Zustände. Stühle hängen oft geklappt an den Wänden, Sofas dienen des Nächtens als Betten, Küchenzeilen werden mit Barhockern zum Tresen. IKEA Japan wurden von Japanern mitentwickelt. Soviel steht fest. Daher verwundert es nicht weiter, dass der gigantische Bereich der gigantischen Sofagarnituren die potentiellen Kunden eher zum Rasten und Ruhen, denn zum Kaufen animiert. Wohingegen die Krimskramsschnickschnacks, oder wie es im offiziellen IKEA-Jargon heißt, die „Satelliten“, magnetenhaft das Volk anziehen.
Die Bettenabteilung wurde um Futonmatratzen und härteren Kissen erweitert und die Bettdecken mit der landestypischen Wärmeskala versehen. Denn wer eine Decke des Wärmegrades 2 sucht, will genau diese und keine mit 1-3, oder gar eine mit 4. Die Küchenabteilung floriert, wobei auch hier der Schnickschnack, ganz wie zu Hause, am meisten lockt. Und der ist auch, genauso wie wahrscheinlich überall auf der Welt, überall zu finden. In jeder Abteilung und zwischen jeder Abteilung und am Eingang und natürlich zwischen Warenlager und Kasse. Das funktioniert weltweit. Demzufolge kauft auch hier jeder neben dem Bett, dem eigentlichen Grund des Besuchs, 100 andere Dinge, mehr oder wenig nützlich und nötig. Die blauen Plastik-IKEA-Beutel an der Kasse? Klar, der Verkaufsschlager. Vom Ausgang bis zum Bahnhof pilgern, glücklich der Schnäppchen, zwangsuniformiert die Käufer. Schämen muss sich keiner. IKEA ist cool. Jedenfalls cooler als in Deutschland.
Äußerst bemerkenswert ist der extrem überdurchschnittliche Ausländeranteil. Amis noch und nöcher, Europäer und Asiaten der Nachbarländer fühlen sich scheinbar sehr verstanden hier.
Ich kam mir jedenfalls mehr vor als wäre ich beim Meiji-Schrein-Besuch, als in einer Möbelhauskette.
Zur Gastronomie. „Heute war ich schwedisch essen.“ - „Warst du bei IKEA?“ Wo sollte man denn auch außerhalb Skandinaviens schwedisch essen können. Gut, schwedisch, mmh, was fällt einem da spontan neben Knäckebrot noch ein. Eigentlich nur Gerichte, die bei IKEA vertrieben werden. In Deutschland gehört IKEA zu den von McDonald's angeführten Top-Ten der Systemgastronomie. In Japan sicherlich nicht. Nichtsdestotrotz ziehen die Preise aber auch wirklich einen jeden Möbelkunden an die Tische. Direkt am Eingang, respektive Ausgang, wartet schon der Hotdog-Softeis-Softdrink-Stand. Preise wie im vorletzten Jahrhundert. Hotdog für 100 Yen, Hotdog und So-viel-wie-Du-trinken-kannst für 150 Yen, Softeis für 50 Yen. Des Spottes billig genug. Der ein oder andere Japaner mutiert dann gerne zum Deutschen und verwechselt das Angebot „Hotdog mit Röstzwiebeln“ mit „Röstzwiebeln mit Hotdog“. Teller gibt es nicht, die Servietten können einem leidtun. Sie scheinen vor der Übermacht und Gewalt der Röstzwiebelmengen bersten zu wollen.
Aber IKEAs Maxime, dass nur ein satter Kunde ein guter Kunde ist, der gerne mal den ganzen Tag im Tempel verbringt, bestätigt sich. Auf halber Ausstellungsstrecke, nach einem geschätzten
Halbmarathon, strömt einem dann endlich der gewohnte Duft von Köttbullar, Fertigsoße und Kaffee entgegen. Warum eigentlich nicht mal wieder schwedisch essen. IKEA macht es seinen Kunden aber
nicht einfach. 5, 10, 15 oder gar 20 Köttbullar. Wer die Qual hat, hat die Wahl. All-you-can-drink für 70 Yen lässt Lachs & Co. im Magen wieder schwimmen.
Das Preisleistungsverhältnis überzeugt auch die eingefleischtesten Schnäppchenjäger. Quali quasi wie immer, deswegen geht man ja auch zu IKEA.
Das Konzept stimmt einfach, auch deswegen weil es einfach ist. Hier wie dort, in Deutschland wie in Japan. Auch wenn der Japaner, kein Deutscher ist, ein jeder ist bei IKEA Mensch und darf hier auch gerne den ganzen Tag sein.
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